Bei den angeführten Versuchen erfolgt die Berechnung wichtiger Daten im Jahreskreis ausschließlich über den Stand der Sonne. Die Beobachtung des Mondes und der Sterne hatte früher mit der Natur noch zutiefst verwurzelten Völkern aber eine ebenso wichtige Bedeutung. Die Abfolge und die unterschiedliche Stellung der Gestirne zueinander waren maßgeblich für die Entwicklung eines Kalenders verantwortlich. Erst eine zeitliche Gesamtdarstellung der Himmelsmechanik, die aus unendlicher Weite leuchtenden Sterne, der Lauf der Sonne als Grundlage allen Lebens auf Erden und die sich beständig wandelnde Gestalt des Mondes, führten zur Entstehung eines Kalenders mit einer sakralen und profanen Jahresteilung.
Wenn es das über Generationen angesammelte Wissen erlaubte, sollen selbst gefürchtete Ereignisse wie die Sonnen- und Mondfinsternissen vorhergesagt worden sein. Jene ungeheure Macht, die Gestirne unter Beschwörungen und Zurufungen vor dem sich ehrfürchtig verneigenden Volk verdunkeln zu lassen, hätten aber wohl nur die wenigsten Astronomen besessen. Die Regeln, die von dem gesetzmäßigen Gang unserer Planeten abgeleitet wurden sind kein Wissen, das man aus fernen Ländern von einer möglicherweise höherstehenden Zivilisation übernahm. Kulturen, die in ihrer Zeit technisch und handwerklich so hoch perfektioniert waren, konnten mit eben derselben Perfektion Kalender berechnen und Zeitpunkte und Geschehnisse in der Natur vorherbestimmen. Das Wissen über die Zeit war Macht und die unumgängliche Grundlage und der Beginn einer jeden sesshaften Kultur und Zivilisation, woher auch immer sie ihren Ausgang nahm.
Nehmen wir nun einmal an, Schalensteine sind aus rein kultischen Motiven entstanden, die zum Teil auch im Bohren und Reiben der Schalen selbst lagen. Rätselhafte, aus Schalen zusammengefügte Symbole, sie sind vereinzelt anzutreffen, würden auch eher für diese Annahme sprechen. Wo, außer an den aussichtsreichen und sonnenbeschienenen Felsen wären aber jene Stätten zu vermuten, an denen die Gestirne beobachtet und unter dessen Orakel wichtige Zeitpunkte entschieden wurden. Rituale und kultische Handlungen, wie wir sie uns heute freilich nicht mehr vorstellen können, mögen hier eine wichtige Rolle gespielt haben. Das Wort Sonnenkultstätten ist heute aus unserer Sicht kaum mehr begreifbar. Fragen nach irgendwelchen Details oder Abläufen müssen daher von vornherein scheitern. Individualität und Vielfalt der Schalensteine verhindern zwar auf den ersten Blick einheitliche Schlüsse, aber für uns heute nicht mehr sichtbare Parallelen unter den Steinen wird es gegeben haben.
Innerhalb der Bezeichnung Schalensteine gibt es keine ersichtlichen Abgrenzungen. Aus den Örtlichkeiten, der Art des Gesteins oder auch der Ausführung und Anzahl der Schalen gehen keine Differenzierungen hervor, die Rückschlüsse auf ein bestimmtes Alter oder auf einen bestimmten Verwendungszweck zuließen. Schalensteine kommen im Bereich vorzeitlicher Siedlungen oder Grabstätten genauso vor wie in Pflastersteinen oder Stufen von Kapellen, deren Errichtung in die letzten Jahrhunderte zurückreichen. Vereinzelt sind sie aber auch im Umfeld alter Gehöfte anzutreffen. So wurden in den Mauern eines Zubaues, er datiert in das Jahr 1824, in einer Stallung in Wenns mehrere Schalensteine gefunden. Zählten sie einst zum Hausrat, oder wurde in den umliegenden Feldern zur Gewinnung des Baumaterials gar eine jahrtausendealte Opferstätte abgetragen? Oberhalb des Dorfes in Wenns liegen auf den seit Jahrhunderten als Weide dienenden Sonnenterrassen ausgedehnte Felsrücken, auf denen sich, heute zum Teil stark verwachsen, Schalen verbergen. Die Besiedlungsgeschichte entlang der alten Talstraße reicht bis in die frühe Bronzezeit zurück. Am Rande der alten Wegstrecke am Piller finden sich auf einem Felsvorsprung einige bis zu acht cm große Schalen. Angrenzend lagen einst mehrere alte Bauernhöfe. Die alte Pillerstraße weist eine bis zu 4000-jährige Vergangenheit auf.
Auch in Fließ liegen entlang der sonnigen Talhänge zahlreiche Steine. So wurde auf einem vorgelagertem Felskopf oberhalb des Ortseingangs im 18. Jahrhundert die Philomenakapelle errichtet. Am Rande der steil ins Inntal abfallenden Felsflanke finden sich bis zu 100 Schalen. Auch sie liegen gleichermaßen eingebettet in einem seit der Urzeit besiedelten Umfeld.
Alle diese Beispiele zeigen, dass eine sichere Zuweisung der Schalensteine in einen bestimmten Zeitabschnitt unter den gegebenen Umständen nicht möglich ist. Dasselbe gilt auch für die Herstellungstechnik der Schalen. So dürften sie ab einer bestimmten Größe mit ziemlicher Sicherheit mit Hilfe schwerer Steine gerieben worden sein. Dem gegenüber stehen aber Ausbuchtungen, die zweifellos durch Metallwerkzeuge entstanden. Handelt es sich hier um Bearbeitungsspuren verschiedener Zeitabschnitte, oder änderten sich im Laufe der Jahrhunderte gar die Beweggründe, die zur Herstellung der Schalen Anlass gaben.
Schalensteine stehen zeitlos in einer sich ständig ändernden Welt. Jahrhunderte oder vielleicht sogar Jahrtausende währende Machenschaften präsentieren sich in einem einzigen Augenblick. Aber gerade jene Entschlossenheit, jeder wissenschaftlichen Deutung zu trotzen, übt auf diese Steine eine große Faszination aus. Jahrzehntelanges Grübeln reicht nicht aus, um diesen Geheimnissen auf die Spur zu kommen. Aber vielleicht gelingt es eines Tages in einem kurzen Moment verlorener Gedanken. Eine Suche muss nicht zwangsläufig zum Scheitern verurteilt sein. Neue Einblicke und Sichtweisen der Dinge sind möglich.