DER SCHALENSTEIN BEI DER PHILOMENAKAPELLE IN FLIEß
Am Rande der steil ins Inntal abfallenden Sonnenterrassen oberhalb des Ortseinganges von Fließ
steht auf einem vorgelagerten Felskopf die im 18. Jahrhundert im Barockstil erbaute
Philomenakapelle. Ein schmaler Felsstreif, er grenzt unmittelbar an die Außenmauer, ist mit etwa
100 Schalen bestückt (Abb. 15 und Abb. 16). Sie liegen inmitten einer herrlichen Gebirgskulisse. Der
Blick fällt tief hinunter auf den mächtigen, reißenden Inn. Im Laufe der letzten Jahrhunderte wurde
das Felsband, wohl durch den allabendlichen Gebetsgang, aber sicherlich auch durch das
Fangenspiel der Kinder so stark abgetreten, dass einzelne und nicht allzu tief geriebene Schalen
wieder verschwanden. Erstrahlte dieser Felsen einst im Lichte eines Aberglaubens? Historisch belegt
zumindest im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit ist die Verwendung von Gesteinsmehl,
bei dem offensichtlich übernatürliche Heilkräfte eine Rolle spielten. Im Brauch, Steine anzuschaben,
sah man wohl das Werk vorchristlicher Heiden. Aber warum hält man sich mit keinem Wort darüber
in der Kirchengeschichte auf? Wurde jenes verwerfliche Tun bei der sonntäglichen Predigt über die
Kanzel ausgesprochen, oder hat man die Schalen gar in aller Heimlichkeit gerieben, sodass sie den
Augen der örtlichen Kirchenvertreter verborgen blieben?
Zweifellos ist die Möglichkeit der Gewinnung von wundertätigem Gesteinsmehl ein Aspekt, der uns
der Lösung der Schalensteinproblematik einen Schritt näher bringt. Im Dunkeln verborgen liegen
freilich die Gründe, die zu jener Zuwendung, Achtung und Ehrfurcht vor den Felsen führte. Vor
Jahrtausenden fühlte man sich an Plätzen besonderer Naturschönheiten im Angesicht der Götter.
Vielleicht wurzeln die Schalensteine gleichermaßen auf einem Naturglauben, der den
Hilfesuchenden in der Hoffnung auf Linderung und Heilung seiner Leiden in seinen Bann zog.
Die Schalen bei der Philomenakapelle in Fließ sind in ihren unterschiedlichen Größen willkürlich über
den Felsen gestreut. Kein Detail offenbart dem Betrachter auch nur den geringsten Hinweis über
deren mögliches Alter oder deren mögliche Verwendung. Wie bei fast allen Fundstellen findet sich
auch hier keine schlüssige Erklärung. Wirklich bahnbrechende Erkenntnisse, wie es sich vielleicht so
mancher vorstellt, wird es in der Schalensteinforschung aber niemals geben. Zu undurchsichtig
bleibt dieses Konglomerat an möglichen Ursachen, zu vielfältig mögen die Gründe gewesen sein, die
zur Herstellung der Schalen Anlass gaben. Trotz allem bleibt es aber für die Zukunft nicht ganz
ausgeschlossen, dass die eine oder andere Hypothese wissenschaftlich untermauert werden kann.
Wohl als Mörser diente hingegen eine Schale im Durchmesser von etwa 12 cm (Abb. 17). Sie befand
sich auf einem heute leider verschollenen Felsblock, der bis vor wenigen Jahren noch den
Eingangsbereich eines alten Bauernhofes in Wenns zierte. Dieser Stein gehörte gleichsam zu einem
Anwesen, das vermutlich im 17. oder 18. Jahrhundert errichtet wurde. All diese Beispiele sollen
zeigen, welch individuelle Natur den Schalensteinen anhaftet. Ein reines Destillat an Wissen kann
und wird es daher auf diesem Gebiet der Forschung niemals geben.